Buchbesprechung: Nochmal Durchstarten

Mut haben und nie die Hoffnung aufgeben!

 

Die Diagnose: Parkinson! Christian Jung trifft sie mit gerade erst 45 Jahren – und verändert sein Leben dramatisch. Er entscheidet sich für einen Hirnschrittmacher, als Medikamente seinen Symptomen nicht mehr Paroli bieten können. 2018 dann die Operation. Nun hat der Wissenschaftsjournalist und promovierte Biologe ein Buch geschrieben: „Noch mal durchstarten. Mein zweites Leben mit dem Hirnschrittmacher“.

 

Jung bezeichnet sein Erstlingswerk als „Gebrauchsanweisung für ein Leben mit Parkinson“. Tatsächlich behandelt es alle wichtigen Themen, die ein Leben mit dieser Krankheit ausmachen.

Schon mit den ersten Zeilen serviert uns der Autor einen Vorgeschmack auf das Abenteuer einer Tiefen Hirnstimulation (THS). So wird die Operation genannt, um einen Hirnschrittmacher zu setzen. Dieser widmet er ein eigenes von insgesamt 12 Kapiteln. Und um es schon vorweg zu sagen: Es liest sich so spannend wie ein Krimi.

 

Aber zunächst einmal geht es auf den Weg zur sicheren Diagnose – und der ist mühsam. Denn es handelt sich nicht immer um die klassische Parkinson-Erkrankung, wenn typische Symptome auftreten. Damit wird der Blick frei auf die Kompliziertheit der Diagnostik, auf die Notwendigkeit zu differenzieren.

Und wie geht es dann weiter? Zunächst einmal mit dem Realisieren der neuen Situation für sich selbst. Unausweichlich folgt das „Sich-outen“ gegenüber den anderen. Der Autor offenbart uns seinen (Leidens-) Weg. Seine Erfahrungen im Alltag und (oft) sehr persönliche Empfindungen – sowohl positive als auch negative – Christian Jung beschreibt sie eindrucksvoll. Von Verlust und Trauer ist die Rede. „Die Unbeschwertheit ist dahin.“ Auch wenn er es versteht, den Finger in die Wunden zu legen, die die Parkinson-Erkrankung schlägt – mit dabei ist auch eine Prise Humor. Und er blickt immer wieder hoffnungsvoll in die Zukunft.

 

Wer von Parkinson selbst betroffen ist, wird womöglich manche Parallele zu sich selbst erkennen; auch Partner, Freunde, Arbeitskollegen und andere Wegbegleiter bekommen mit diesem Buch die Chance auf tiefe Einblicke, um zu verstehen was es bedeutet, Parkinson zu haben. Überhaupt – das „Zwischenmenschliche“ in der Kommunikation spielt hier eine wichtige und facettenreiche Rolle: vom respektvollen Umgang miteinander und dem „Verstanden-werden“ in der engeren Beziehung, im Freundeskreis oder im Job. Über die Wahrnehmung von Behinderung in unserer Gesellschaft bis hin zu einem Arzt-Patienten-Verhältnis auf Augenhöhe.

 

Auch bei den medizinisch relevanten Themen wird der Bogen weit gespannt: Was weiß die Wissenschaft über mögliche Ursachen für die Erkrankung? Welche Vorboten und Risikofaktoren sind bekannt? Substanzen aus der Umwelt, wie Pestizide und andere mehr, haben wahrscheinlich Einfluss auf die Entstehung von Parkinson. Eine wichtige Bedeutung für das Erkranken spielt auch der Darm mit seiner Bakterienvielfalt. Welche Gründe gibt es eigentlich für die „sterbenden Nervenzellen“ im Gehirn? Geheimnisvoll ist, welche Rolle falsch konstruierter Proteine dabei spielen. Wie wichtig ist Ernährung? Einzelne Bestandteile von Lebensmitteln sollen tatsächlich Nervenzellen schützen können. Erkenntnisse über diese Forschungsbereiche ermöglichen Zukunftsaussichten auf verbesserte Therapien. Vielversprechende Wirkstoffe stehen in den Startlöchern. Forscher verfolgen neue Wege, um weitere Strategien gegen Parkinson zu finden.

 

Jung macht trotzdem keine Erfolgsversprechen. Er blättert Erkenntnisse auf und differenziert: „Was man sicher weiß, was noch ungeklärt ist“. Leser, die sich für detaillierte Sachzusammenhänge interessieren, werden reichlich bedient.

 

Natürlich richtet er den Blick auch auf die zahlreichen Medikamente und Verabreichungsformen wie zum Beispiel Pflaster und Pumpen gegen Parkinson-Symptome. Leicht verständlich werden Wirkungsmechanismen, Nebenwirkungen und ungelöste Probleme erklärt.

 

Diverse Sport- und Bewegungsarten sind inzwischen zu einer wichtigen Säule in der Parkinsontherapie geworden: Ob Radfahren, Yoga, Qi Gong oder Karate, therapeutisches Bogenschießen, Reiten oder die BIG-Bewegungstherapie – alles ist willkommen, weil sich positive Wirkungen auf unser Gehirn nachweisen lassen. Jung stellt einzelne Sport und Bewegungsarten in Verbindung mit Studienergebnissen und den Erfahrungen von Fachleuten vor. Dem Tanzen widmet er besondere Aufmerksamkeit.

 

Abseits der naturwissenschaftlichen Inhalte kommt noch ein wichtiges Thema zum Zuge: Lebensqualität! Die Leser machen Bekanntschaft mit neuen Ideen, um auch mit fortgeschrittener Krankheit sicher und selbstbestimmt den Alltag meistern zu können:  Digitalanwendungen, die Therapien optimieren können oder Hilfestellungen im Alltag ermöglichen, werden vorgestellt. Nicht zuletzt hat auch die Tiefe Hirnstimulation einige Fortschritte aufzuweisen.

 

Christian Jung bereut seine Entscheidung für den Hirnschrittmacher nicht. Sein Mut wurde belohnt. Weil es ihm nun wieder möglich ist, sein Leben selbstbestimmt zu leben. Mit allem, was dazu gehört.

Dieses Sachbuch ist einfach anders: kein Patienten-Ratgeber, in dem sich Tipps an Tipps reihen. Es ist ein Glücksfall, dass ein Topjournalist dieses Buch geschrieben hat. Erstens, weil es sich unterhaltsam und spannend liest. Zweitens: Es gelingt ihm, Erfahrungen und Gefühle aus der Parkinsonwelt in so treffend formulierten Sätzen zu beschreiben – die möchte man mit einem dicken Stift am liebsten unterstreichen. Hier treffen wir auf einen Verbündeten! Und drittens versorgt Christian Jung seine Leser mit fundiertem Fachwissen. Dabei präsentiert er wirklich neue Erkenntnisse, aktuelle Studienergebnisse, gibt ermutigende Ausblicke auf Vorhaben und Ziele der aktuellen Forschung. Alles das beschreibt er mit einer Eleganz und Leichtigkeit, wodurch selbst schwerverdauliche Wissenschaft einfacher verständlich wird.

 

 

Besonderes Extra: Wer noch mehr zum aktuellen Stand der Parkinson-Forschung wissen will, kann sich in einem „digitalen Servicepaket“ Zusatzmaterial zu verschiedenen Kapiteln kostenlos herunterladen. Der Link befindet sich im Buch.

Christian Jung

Noch mal durchstarten

Mein zweites Leben mit dem Hirnschrittmacher.
Gebrauchsanweisung für ein Leben mit Parkinson

 

ISBN 978-3-423-26262-0, Originalausgabe, dtv premium, 304 S., € 15,90- (D), € 16,40 (A); auch als eBook erhältlich

 

 

 

Text: Bettina Köhler, Diagnose Parkinson seit 2017

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Kommentare: 1
  • #1

    Barbara (Samstag, 08 August 2020 19:04)

    Habe als auch ErKrankte diese Buchbesprechung mit großem Interesse gelesen, u.a.auch, weil ich ebenfalls eine THS habe machen lassen......
    Wäre an einem GEDANKENAUSTAUSCH sehr interessiert.
    herzliche grüße!